Eine Geschichte für Fahrer!

Begonnen von Heiko, 03 Dezember 2005, 17:44:48

« vorheriges - nächstes »

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Heiko

Köstlich:

MAGAZIN: Erlebnisse eines Horexfahrers

Mut und ein stoisches Gemüt sind unabdingbare Voraussetzungen für einen Horex-Fahrer, um mit seiner Regina in der modernen Motorradwelt zu überleben. Mo-Mitarbeiter Thomas Merk hat sich den Anfeindungen und Sticheleien der High-Techniker furchtlos gestellt. "Das Motorrad gehört Dir weggenommen!" Der gutgekleidete Veteranenfreund, Herrentasche über der Schulter, lehnt an seiner blitzsauberen K 100 und wartet, daß der TÜV - Prüfer ihm die Gnade erweist. Ich, ein wenig ölverschmiert, befestige gerade noch schnell den Bremslichtschalter, den das Motorrad, das mir eigentlich weggenommen gehört, auf den paar hundert Metern Fahrt zum TÜV unwilIig von sich vibriert hat.

Aber wer will mir schon ernstlich diese 160 Kilogramm Eisen wegnehmen, die ihre 33 Jahre so sichtbar auf dem Buckel haben, daß sich hier und dort tatsächlich schon ein vorwitziges Rostbläschen am Chromtank zeigt? Wer will sich denn wirklich mit einer "falschen", weil englischen Anordnung der Bedienungselemente herumärgern und ständig statt auf die Bremse zu treten versehentlich einen höheren Gang hineinknüppeln?

"So was fährt man nicht mehr, sowas pflegt man", sagt der Oldtimerliebhaber und beäugt skeptisch das schmutzige Hinterrad meines Apparates. Er selber, so versichert er, habe zwei davon in der Garage stehen, aber von deren Optik könne sich mein Krücklein getrost eine Scheibe abschneiden. Neue Lager im Motor? Überholter Zylinderkopf ? Alles Mumpitz und hinausgeworfenes Geld. Der Chrom muß blitzen, und im Lack muß man sich spiegeln können. Und fahren tut man so ein Ding höchstens zweimal im Jahr, zum Veteranentreffen und dann selbstverständlich mit rotem Nummernschild. Alles andere ist Ketzerei, Schändung eines Heiligtums. Natürlich zeige ich so viel Zerknirschtheit, wie mir meine hastige Bastelei erlaubt. Was bin ich nur für ein fehlgeleiteter Mensch, daß ich eine Horex Regina, Baujahr 1953, dem mörderischen Verkehr von 1986 aussetze?

Fieberhaft lege ich mir die Argumente zu meiner Verteidigung zurecht. Daß ich die Maschine vor zehn Jahren für 20 Mark aus einem Hinterhof gezogen habe und nur die rostigen Auspufftüten gegen neue ersetzen mußte, um eine ausgedehnte Dolomitenreise damit unternehmen zu können. Daß ich finde, ein altes Motorrad dürfe ruhig ein wenig wie ein altes Motorrad aussehen, solange technisch alles o.k. ist. Daß der alte Chrom zwar hier und da eine Roststelle aufweist, aber dafür auch nicht beim ersten Salz die Blattern bekommt wie der von anno 1986.

Soweit komme ich gerade noch, dann wendet sich der Purist mit Grausen von mir ab. Mit einem Veteranen zum Elefantentreffen? Igitt!

Auch gut, denke ich mir. Kann ich wenigstens in Ruhe schrauben. Mitnichten. Ein Typ in matt glänzender Lederkombi, weiß mit roten Streifen, hat sich von seiner farblich genau passenden Bol d´Or gelöst und ist zu mir herübergeschlendert.

"Was macht denn die noch Spitze?", fragt er kumpelhaft und weiß gar nicht, in welche Gewissensnöte er mich damit bringt. Was kann der arme Kerl denn dafür, daß dreiste Konstrukteure in den fünfziger Jahren läppische 350er Einzylinder mit zwei so monströsen Auspuffrohren versehen haben, daß der Uneingeweihte an ihnen einen 500er Twin vermuten muß? Und das verchromte Röhrchen, in dem altertümliche Stoßstangen auf und ab springen, sieht ja nun wirklich der Behausung einer echten Königswelle verdammt ähnlich. Von reißerischer Optik hochgeschraubte Erwartungen soll man nicht enttäuschen, und so entschließe ich mich zu einer Halbwahrheit.

"120", sage ich mit Unschuldsmiene und verschweige dabei, daß für diese Spitzengeschwindigkeit entweder ein extrem abgebrühtes Gemüt oder Pfropfen in den Ohren nötig sind. Nicht einmal der infernalische Klang aus den fast offenen "Schalldämpfern" kann bei einem derartigen Eilzugtempo das große Symphonieorchester aus Schnaufen, Klappern und Rasseln übertönen, mit dem der gestangelte Langhuber seine Leistungsabgabe begleitet.

Ein spöttisch-ungläubiges Grinsen erscheint auf dem Gesicht meines Gesprächspartners. "Und sowas fährst Du noch?", fragt nun auch er. Ich nicke und murmle, "sowieso", im Brustton der Überzeugung. Nur gut, denke ich, daß ich ihm nicht erzählt habe, daß nach einer Stunde Fahrt im Vorortszug-Tempo der unerschrockene Horexfahrer tunlichst nicht versuchen sollte, mit Messer und Gabel zu essen. Die nachklingenden Vibrationen würden ihn zu einem lebenden Ostfriesenwitz machen.

Aber auch ohne diese zusätzlichen Informationen hat der Streifenritter Anlaß genug, mir einen langen Vortrag über die Entwicklung der Motorradtechnik zu halten. Geradewegfederung am Hinterrad, Trommelbremsen, ein Motor, dessen Kolbengeschwindigkeit bei verantwortlichen Konstrukteuren eigentlich Herzattacken verursachen müßte: Da brauche ich mich nicht zu wundern, wenn ich als Höchstes der Gefühle einen todkranken 2 CV stehen lassen kann. Wenn das Fahren eines solchen Fossils auch noch Spaß machen würde, dann wären ja alle modernen Segnungen wie Pro-Link, Scheibenbremsen und Vierventiltechnik spurlos an der Menschheit vorübergegangen.

"Aber dafür hat meine Horex ein Tankemblem, das gut und gerne das große Staatswappen einer eitlen Operettenmonarchie sein könnte", ist das Einzige, was ich ihm momentan entgegnen kann. Er würde mir ja sowieso nicht glauben, daß ich auf der Landstraße schon diverse Langstreckenduelle gegen kraftstrotzende Vierzylinder seiner eigenen, glorreichen Marke gewonnen habe, nur weil die Horex aus ihrem 18-Litertank so unverschämt wenig Sprit zu sich nimmt.

Es ist eben nicht allzu spektakulär, sich aus einem bequemen Einzelsitz bei tuckernden 80 km/h die Landschaft anzuschauen und dabei immer wieder die gleichen Wunderwerke moderner Motorradbaukunst am Straßenrand stehen zu lassen, deren Besatzung gerade Sprit bunkern, Kette spannen oder sich im Gras von den Strapazen der Hetzerei erholen muß.

Sicher, dieses Spielchen funktioniert nicht immer so gut. Dazu stecken einfach zu viele Tücken beispielsweise in einer Elektrik, die fast ein halbes Menschenalter auf dem Buckel hat. Ohne üppiges Bordwerkzeug und ein paar ausgesuchten Ersatzteilen sollte sich der Horex-Reiter tunlichst nicht weiter als bis zum nächsten Zigarettenautomaten wagen. Aber dafür hat er es bei einem Straßenrand-Service auch wieder einfach.

Er muß nicht den halben Rahmen auseinanderschrauben, um einen Blick auf Vergaser oder Ventile werfen zu können, er muß auch nicht verzweifelt irgendeiner ominösen BIack-Box hinterhertelephonieren, wenn einmal die Zündung streikt. Horex-Technik ist eine Offenbarung für jeden Dorfschmied und deshalb allemal beruhigender als der Gedanke, im tiefsten Sardinien auf einem elektronisch gesteuerten Uhrwerk zwischen zwei spröden Gußrädern sitzen zu müssen.

Das Streifenhörnchen ist unterdessen am Ende seiner technischen Vorlesung angelangt und kommt nun zur wesentlichen Frage, zum Gnadenstoß für meine verworrene Motorrad-Ideologie. "Wie ist das denn mit den Ersatzteilen?", fragt es siegessicher. "Irgendwann gibt doch auch der massivste Kolben seinen Geist auf, ist auch eine Ventilführung von Lastwagendimensionen verschlissen. Läßt einen da eine Motorradfabrik, die vor mehr als zwanzig Jahren schmachvoll eingegangen ist, nicht fürchterlich im Regen stehen?"

Jetzt endlich kann ich mein schönstes, hundertmal vor dem Spiegel eingeübtes, mitleidiges Lächeln auspacken. "Ein Bekannter von mir", so führe ich genüßlich aus, "fährt ein Motorrad, das dem seinen nicht ganz unähnlich ist, und der träumt seit dem Frühjahr von einem Frachtschiff, das majestätisch durch den Pazifik stampft und hoffentlich, hoffentlich, das benötigte Teilchen in seinem Bauch trägt, welches es diesem Unglücklichen vielleicht möglich machen wird, die letzten Strahlen der Oktobersonne auf seinem Super-Bike zu genießen. Schade für ihn, daß die fleißigen Händler, bei denen ein Anruf genügt, um in einer Woche ein halbes Motorrad aus Ersatzteilen aufbauen zu können, diese Teile nur für so hoffnungslos veraltete Gurken wie eben eine Horex nachfertigen lassen."

Die Welt ist ungerecht, aber dem armen Streifenhörnchen steht die wahre Einsicht in die gnadenlose Brutalität dieses Satzes noch bevor. Oder ist es etwa gerecht, daß ein paar Minuten später der eine TÜV-Prüfer seine vergleichsweise säuseInde Zubehör-Auspuffanlage nur nach einer Phonmessung einzutragen bereit ist, während sein Kollege bei einer Probefahrt mit der Regina den Prüfschuppen in seinen Grundfesten erzittern läßt und ihr dann auch noch ohne mit der Wimper zu zucken eine nagelneue Plakette aufs Nummernschild drückt?

Eingetragene 95 Dezibel sind eben auch ein Privileg von Überbleibseln des primitiven Motorradbaus der Bronzezeit.


Autor: Thomas Merk (aus "MO" 9/86 S. 40-41)

In diesem Sinne,

Gruß Heiko


Ariel motorcycles... upon which the sun never sets.

Heiko

Ariel motorcycles... upon which the sun never sets.

Robert

Herrlich! Und so wahr! Und man ist nicht allein mit seinem bescheuerten Freizeitvergnügen! :bike: :bike: :bike:
"Ich habe meine BMW ja nicht aus Freude am Bauen, sondern aus Freude am Fahren!"

Peter

Klasse  :lol:  :lol: habe mich köstlich amüsiert. Da prallen Welten aufeinander und ich weiss. wo ich hingehöre!  :applaus:
Gruß Peter
Am Sichersten ist die Unfreiheit

Dennis



Sehr schöne Geschichte!  ;D

Auch wenn mein Herz nun hin und her gerissen ist...
Immerhin steht in meiner Garage auch noch ein 87er Nippon-Bike an dem ich hänge...  ::)

Gruß
Dennis
Chrome won't bring you home!

Similar topics (5)

Hauptmenü

Anleitungen & Bücher Baureihe Specials Startseite Vergleichsliste

Presse & Wissen

Bauzeiten & Stückzahlen Historisches Liste der BMW Modelle Presseberichte Prospekte & Plakate

Foren & Literatur

Bildergalerie Bildtafel-Suche Forum: Boxerforum Handbücher Servicedaten

Allgemeine Infos

Bildtafelsuche Glossar Impressum Kontakt Sitemap

Tipps & Service

Dienstleister Händler Märkte & Museen Tipps Verschleißteile & Werkzeuge